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Meinte Jesus nur Petrus oder auch alle seine Nachfolger?
43. Die erwähnten Bibelstellen beziehen sich nur auf Petrus.
Keine der drei Bibelstellen (Mt 16,18–19; Joh 21,15; Lk 22,32) enthält einen Hinweis darauf, dass Jesus nicht nur Petrus, sondern alle Nachfolger im Amt des Bischofs von Rom meinte. Auch im übrigen NT gibt es darauf keinen Hinweis.
Das bestätigt sogar der Katechismus:
Offenkundig ist in allen diesen Texten nicht ausdrücklich von einer Nachfolge in den amtlichen Funktionen des Petrus, also von einem Petrusamt in der Kirche, die Rede. [45]
44. Die Kirche erklärt nicht, warum Jesus trotzdem alle Nachfolger meinte.
Obwohl in der Bibel nirgendwo ausdrücklich von einer Nachfolge in den amtlichen Funktionen die Rede ist, sehen die Autoren des Katechismus dennoch …
[…] einen deutlichen Hinweis darauf, daß die Petrusfunktion auch noch über den Tod des historischen Petrus hinaus von nicht nur historischer, sondern auch von aktueller Bedeutung war. […] Dazu kommt, daß Mt 16,18 von der Zukunft spricht (‚Auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen‘) […] Es gibt also schon innerhalb des Neuen Testaments Hinweise für eine Fortdauer der Funktion des Petrus als Felsengrund der Kirche und als bleibender Garant des Glaubens (vgl. Lk 22,32).
• Das erklärt nicht, warum die Petrus-Nachfolger die Zusagen beanspruchen können, die Jesus dem Petrus gemacht haben soll. Dass die „Petrusfunktion“ bis heute heute fortdauert, wird niemand bestreiten. [46] Es geht um die Vollmachten, die damit verbunden sind.
• Aber selbst für „eine Fortdauer der Funktion des Petrus“ findet der Katechismus nur „Hinweise“. Auf solch schwachem Grund können keine absoluten Wahrheiten (zum Beispiel das Dogma der Unfehlbarkeit) begründet werden.
• Wenn Mt 16,18 von der Zukunft spricht, sind damit nicht die Nachfolger des Petrus gemeint. Petrus konnte noch etwa 36 Jahre lang für die Kirche Christi wirken [47] – genug, um den Futur in Mt 16,18 zu erklären. Außerdem spricht der Katechismus ausdrücklich von „der Funktion des Petrus als Felsengrund“, dem Fundament der Kirche. Das Fundament wird aber nur einmal gelegt, braucht also keine Nachfolger. [48]
• Lk 22,32 ist ein Auftrag – keine Garantie. Dieser Bibelvers ist also ebenfalls ungeeignet, die „Übertragbarkeit“ der Petrus-Vollmachten zu begründen.
45. Es ist unklar, ob Petrus jemals in Rom gewirkt hat.
„Dann verließ er sie und ging an einen anderen Ort.“ (Apg 12,17) Das sind die letzten Worte über Petrus nach seiner wundersamen Befreiung aus dem Kerker des Herodes Antipas. In den übrigen 16 Kapiteln der Apostelgeschichte wird Petrus mit keinem Wort mehr erwähnt. Es überrascht, dass Lukas (der Autor der Apostelgeschichte) über den weiteren Weg des Oberhaupts der Kirche nichts zu berichten weiß.
Auch Paulus ignoriert ihn: Im Römerbrief – verfasst ca. 56 bis 58 n. Chr., also noch zu Lebzeiten des Petrus! – grüßt er namentlich 23 Mitglieder der Gemeinde in Rom. Petrus, angeblich Bischof von Rom und Oberhaupt der Kirche, nennt er nicht.
Erst Ende des zweiten Jahrhunderts, also mehr als hundert Jahre nach seinem vermuteten Tod, bildet sich die Tradition heraus, die römische Gemeinde sei von Petrus und Paulus gegründet worden. Für Paulus trifft das definitiv nicht zu, denn den Römerbrief – den er schrieb, bevor er zum ersten Mal nach Rom reiste –, richtet er an die dort bereits existierende Gemeinde.
Der Altphilologe Otto Zwierlein schreibt:
„Es ist oben gezeigt worden, daß der Verfasser des sogenannten ersten Clemensbriefes [49], den man am besten in die Jahre 120–125 n. Chr. datiert, nichts von einem Aufenthalt des Petrus in Rom weiß und auch keine Kenntnis hat von einer Verfolgung und dem Martyrium des Petrus und des Paulus unter Nero […]. Die Vorstellung, daß Petrus nach Rom gekommen sei, scheint sich frühestens in der Auseinandersetzung mit den gnostischen Häretikern entwickelt zu haben […], also nicht vor dem Zeitraum 150–154.“ [50]
Auch wenn man davon ausgeht, dass Petrus in Rom wirkte: er war mit Sicherheit nicht Bischof von Rom, denn dieses Amt oder etwas Vergleichbares gab es zu seinen Lebzeiten noch nicht. Eine monarchisch-episkopale Leitung bildete sich in Rom frühestens um das Jahr 130 heraus. Bis dahin wurden die Gemeinden kollegial durch mehrere Presbyter geleitet. [51]
46. Die Päpste sind keine Nachfolger des Petrus.
Der Papstprimat beruht auf der Annahme, dass die Päpste Amtsnachfolger des ersten Bischofs von Rom sind. Wenn Petrus aber nicht Bischof von Rom war, dann können sich die späteren römischen Bischöfe und Päpste nicht als Nachfolger Petri bezeichnen. [52]
47. Niemand dachte an eine Petrus-Nachfolge.
Als ich mit diesem Aufsatz fast fertig war, stieß ich im Internet auf das Buch „Geschichte des päpstlichen Primats“ des katholischen Kirchenhistorikers Prof. Dr. Klaus Schatz SJ (Frankfurt, 1990) [53]. Ich war sehr überrascht, als ich viele meiner Vorbehalte bestätigt fand:
Die weitere Frage, ob über Simon-Petrus hinaus an ein bleibendes Amt gedacht ist, dürfte, rein historisch gestellt, negativ zu beantworten sein, also in der Fragestellung: Dachte der historische Jesus bei der Beauftragung des Petrus an Nachfolger? War sich der Verfasser des Matthäus-Evangeliums, also nach dem Tode des Petrus, bewußt, daß Petrus und sein Auftrag jetzt in den auf ihn folgenden römischen Gemeindeleitern fortlebt? (…) Wenn wir weiter fragen, ob sich die Urkirche nach dem Tod des Petrus bewußt war, daß seine Vollmacht auf den jetzigen Bischof von Rom übergegangen ist, daß also der Gemeindeleiter von Rom jetzt Nachfolger Petri, Fels der Kirche und damit Träger der Verheißung nach Mt 16,18ff ist, dann muß diese Frage, so gestellt, sicher verneint werden.
Der Autor nennt Gründe für die Überzeugung, dass Petrus in Rom wirkte, dort zum Märtyrer wurde und begraben worden ist, und schreibt weiter:
Konkrete Ansprüche im Sinne eines Primats über die ganze Kirche werden jedoch aus dieser Überzeugung nicht abgeleitet. Hätte man einen Christen um 100, 200 oder auch 300 gefragt, ob der Bischof von Rom Oberhaupt aller Christen ist, ob es einen obersten Bischof gibt, der über den anderen Bischöfen steht und in Fragen, die die ganze Kirche berühren, das letzte Wort hat, dann hätte er sicher mit Nein geantwortet.
Damit argumentiert Prof. Dr. Klaus Schatz SJ ganz in meinem Sinne – er kommt aber überraschender Weise zum umgekehrten Ergebnis:
Aber ist diese Frage richtig gestellt? Muß nicht die Antwort negativ lauten, wenn man mit dem Raster unserer modernen entwickelten Primatslehre und gar des 1. Vatikanums an die ersten Jahrhunderte herangeht? Ist es nicht unhistorisch, so zu fragen? Und ist darum die selbstverständlich negative Antwort auf die so gestellte Frage schon eine negative Vorentscheidung für die theologisch gemeinte Sache?
Mir wird nicht klar, was genau „die theologisch gemeinte Sache“ sein soll. Doch er schreibt in der Einführung:
Dieser Primat ist damit für das katholische Kirchenbewußtsein ein Strukturelement, das im ökumenischen Gespräch nicht zur Disposition steht und ohne das eine volle Kirchengemeinschaft nicht möglich ist. Denn er ist nach katholischer Überzeugung, wie diese in dem genannten Konzil ihre lehramtliche Sanktionierung erfahren hat, im Willen Christi und im Petrus des Neuen Testaments grundgelegt.
Also geht der Klaus Schatz davon aus, dass der Primat „im Willen Christi und im Petrus des Neuen Testaments grundgelegt“ ist, obwohl Jesus, Petrus, die Urkirche, der Verfasser des Matthäus-Evangeliums und die Christen der ersten Jahrhunderte sicher nicht an einen Petrus-Nachfolger dachten. Eine Erklärung dafür habe ich in seiner „Geschichte des päpstlichen Primats“ nicht gefunden. [54]
Es mag sein, dass Prof. Schatz die theologische Begründung für den Papstprimat woanders findet. Dann stellt sich aber die Frage, warum die Kirche im Katechismus, im Codex Iuris Canonici, in Konzilstexten usw. durchweg nur auf die drei Bibelstellen verweist, die eigentlichen Gründe aber nicht nennt.
Selbst wenn man der Lehre der Kirche folgt, dass Jesus Petrus die Unfehlbarkeit zugesprochen hat und dass er nicht nur Petrus, sondern alle seine Nachfolger meinte (die Gegenargumente habe ich bereits genannt), darf man bezweifeln, dass die Päpste in Glaubens- und Sittenfragen unfehlbar sind. Das ist ein weites Thema; ich will hier nur kurz darauf eingehen.
48. Erst 1871 erklärte die Kirche den Papst als unfehlbar.
Die Bischöfe von Rom beanspruchten zwar schon recht früh die Entscheidungsgewalt in Glaubensfragen, aber erst 1870 definierte die Kirche, dass bestimmte Entscheidungen unfehlbar seien. [55]
Unbekannt ist, welche früheren Lehraussagen als unfehlbar zu gelten haben. Im Vorwort des theologischen Standardwerks „Der Glaube der Kirche“ [56] heißt es:
Maßgebend für die bindende Kraft einer Lehrentscheidung ist immer der Wille der Kirche, soweit er in der Urkunde ausgedrückt ist. Nicht immer läßt sich daher die Frage nach dem dogmatischen Wert ganz eindeutig beantworten. Es gilt hier die Absicht des kirchlichen Rechtsbuches: Wo die Absicht der Kirche, endgültig zu binden, nicht klar ausgesprochen ist, da hat man auch kein Recht, von einer unfehlbaren Entscheidung zu sprechen.
Gleich darauf heißt es aber:
In der vorliegenden Zusammenstellung sind die unfehlbaren Entscheidungen mit fettgedruckten Randzahlen belegt. [57]
Ein großer Teil [58] der 940 im Buch aufgeführten Lehrentscheidungen hat fett gedruckte Randzahlen, gilt also als unfehlbar. Es handelt sich aber fast ausschließlich um „negative“ Aussagen – also um Entscheidungen darüber, welche Lehraussagen von Häretikern falsch sind. So heißt es zum Beispiel unter der Nummer 746 (fett gedruckt):
Wer sagt, Eheangelegenheiten gehörten nicht vor den kirchlichen Richter, der sei ausgeschlossen. [59]
Dieser Lehrsatz der Allgemeinen Kirchenversammlung zu Trient (1563) ist gegen die Reformatoren gerichtet, die das siebente Sakrament nicht anerkannten.
Trotz langwieriger Recherche im Internet konnte ich nicht feststellen, welche „positiven“ Lehraussagen unfehlbar und verbindlich sind. Manche Quellen sprechen von maximal zehn bis zwanzig unfehlbaren Lehraussagen, ohne sie aber zu nennen. [60] Es scheint, als sei sich die Kirche in dieser Frage selbst nicht einig:
49. Die Kirche sagt nicht, welche Lehren vor 1870 unfehlbar sind.
Die Lehre der Kirche hat sich im Laufe der Zeit immer wieder geändert, am deutlichsten wurde das beim Zweiten Vatikanischen Konzil. Viele Konzilsaussagen stehen im Widerspruch zu früheren Lehraussagen. Wenn diese früheren Lehraussagen von den damaligen Päpsten ex cathedra verkündet wurden, lässt das nur zwei Schlüsse zu:
Entweder verkündete das Zweite Vatikanische Konzil Irrlehren
[61]
oder es gibt keine Unfehlbarkeit.
Die Kirche umgeht dieses Dilemma, indem sie Lehren, die im Widerspruch zu späteren Reformen stehen, als „nicht unfehlbar“ bezeichnet. Das ist leicht möglich, weil die formalen Vorschriften für die Verkündigung unfehlbarer Lehraussagen erst vom Ersten Vatikanischen Konzil festgelegt wurden.
In manchen Fällen hat es die Kirche aber schwerer:
50. „Dignitatis humanae“ widerspricht „Quanta cura“
Papst Pius IX. bezeichnet 1864 (nur wenige Jahre, bevor er das Dogma der päpstlichen Unfehlbarkeit verkündete) in der Enzyklika Quanta cura [62] die Gewissens- und Religionsfreiheit als „Wahnsinn“:
Von dieser absolut falschen Vorstellung über die Regierung des Staates, scheuen sie sich nicht, die irrige Meinung zu begünstigen, welche für die katholische Kirche und das Heil der Seelen im höchsten Grad zum Untergang führt, die bereits Unser unmittelbarer Vorgänger seligen Andenkens, Gregor XVI., als Wahnsinn bezeichnet hat, und zwar, die Gewissens- und Religionsfreiheit sei das eigene Recht eines jeden Menschen.
Als unfehlbar gilt eine dogmatische Aussage, die mit der Formel „definimus et declaramus“ („Wir definieren und erklären“) oder einer vergleichbaren Formulierung eingeleitet wird. Der katholische Theologe und Dogmatiker Mathias Joseph Scheeben (1835–1888) schreibt im „Handbuch der katholischen Dogmatik“ über die Einleitung zu Quanta cura, dass sie genau der Struktur entspricht, die das Erste Vatikanische Konzil für ex cathedra-Entscheidungen vorgesehen hatte:
Eine der gegenwärtigen Definition fast wörtlich entsprechenden Fassung findet sich in der Encyclica ‚Quanta cura‘ vom 8. Dez.1864. [63]
Und der katholische Kirchenhistoriker Josef Kardinal Hergenröther (1824–1890) schreibt in dem von ihm begonnenen Kirchenlexikon [64]:
Betreffs der erwähnten 16 in der Encyklica selbst angeführten Sätze kann kein Zweifel bestehen, daß es sich bei ihnen um eine Verwerfung kraft der unfehlbaren höchsten päpstlichen Lehrgewalt handelt; dieß geht klar aus der Verwerfungsformel hervor. [65]
Mit der Formulierung von der „absolut [!] falschen Vorstellung“ über die Gewissens- und Religionsfreiheit des Menschen macht auch Pius IX. selbst deutlich, dass es sich hier nicht um eine „relative“ Aussage handelt.
Also kann man davon ausgehen, dass es sich bei Quanta cura um eine Lehraussage ex cathedra handelt. Die Verdammung der Gewissens- und Religionsfreiheit wäre demnach unfehlbare Lehre [66]. Das steht aber im Widerspruch zum Zweiten Vatikanischen Konzil. Denn das verkündete in Dignitatis humanae (1965):
Das Vatikanische Konzil erklärt, daß die menschliche Person das Recht auf religiöse Freiheit hat. [67]
51. Päpste können auch in Glaubensfragen irren
Bischof Joseph Georg Strossmayer zählte in seiner Rede vor dem Ersten Vatikanischen Konzil weitere Widersprüche und Irrtümer der Päpste auf: [68]
Papst Viktor (192) billigte zuerst den Montanismus, und nachher verdammte er ihn. Marcellinus (296–303) war ein Götzendiener. Er ging in den Tempel der Vesta und brachte Weihrauch dieser Göttin dar. Sie werden sagen, dies war ein Akt von Schwäche, aber ich antworte, ein Stellvertreter Christi stirbt, wird aber kein Abfälliger. Liberius (358) stimmte der Verdammung des Athanasius zu, und bekannte sich zum Arianismus, damit er von seiner Verbannung zurückgerufen und wieder in sein Amt eingesetzt würde. Honorius (625) war ein Anhänger des Monotheletismus; Vater Gratry hat es augenfällig bewiesen. Gregor I. (578–90) heißt Jeden den Antichristen, welcher sich als allgemeinen Bischof tituliren läßt; und umgekehrt, Bonifazius III. (607–608) veranlaßte den vatermörderischen Kaiser Phocas, daß er diesen Titel ihm verlieh. Pascal II. (1088–1099) und Eugenius III. (1145–1153) autorisirten das Duell, während Julius II. (1509) und Pius IV. (1560) es verboten. Eugenius IV. (1431–39) hieß das Baseler Konzil und die Kelchverleihung an die böhmische Kirche gut, während Pius II. (1458) diese Konzession widerrief. Hadrian II. (867–872) erklärte bürgerliche Heirathen für gültig; aber Pius VII. (1800–23) verdammte sie. Sixtus V. (1585–90) veröffentlichte eine Ausgabe der Bibel und empfahl durch eine Bulle deren Lesung. Pius VII. verdammte das Lesen derselben. […] Aber warum blicken wir hin auf so ferne Beweise? Hat nicht unser hier gegenwärtiger heiliger Vater in seiner Bulle, welche dieses Konzil regelte, im Fall seines Todes (während der Sitzungen dieses Konzils) Alles widerrufen, was in vergangener Zeit demselben entgegensteht, selbst wenn es von der Entscheidung seiner Vorgänger ausgegangen ist? Und gewiß, wenn Pius IX. ex cathedra gesprochen hat, so ist es nicht, als wenn er von der Tiefe seines Grabes seinen Willen den Kirchenbeherrschern auferlegt. […] Ich würde nie fertig werden, verehrte Brüder, wenn ich Ihnen die Widersprüche der Päpste und ihre Lehre auseinandersetzen wollte. Wenn Sie also die Unfehlbarkeit des gegenwärtigen Papstes verkündigen, so müssen Sie entweder beweisen (was unmöglich ist), daß die Päpste nie sich widersprochen haben, oder Sie müssen erklären, daß der heilige Geist es Ihnen geoffenbart hat, daß die Unfehlbarkeit des Papstthums sich nur von 1870 datirt. Haben Sie die Kühnheit, dies zu thun?
52. Die Päpste haben das Geschenk Gottes nicht angenommen.
1870 verkündete die Kirche das Dogma der Unfehlbarkeit. Spätestens seit diesem Zeitpunkt steht fest, dass die Kirche (durch den Papst oder die Gemeinschaft der Bischöfe) in der Lage ist, den eindeutigen und unverfälschten Willen Christi zu lehren. Einzige Voraussetzung: Die Unfehlbarkeit der Lehraussage muss ausdrücklich genannt sein (siehe Nr. 50).
Seither sind nur zwei ex cathedra-Lehren verkündet worden: das Dogma der Unfehlbarkeit selbst und die leibliche Aufnahme Mariens in den Himmel – 1950 unter Pius XII. Sein Nachfolger, Johannes XXIII., verkündete gleich zu Beginn seiner Amtszeit, er beabsichtige nicht, vom Dogma der Unfehlbarkeit weiteren Gebrauch zu machen. Auch seine vier Nachfolger haben sich nie ex cathedra geäußert.
Es ist unerklärlich, warum sich die Kirche nicht öfter auf den eindeutigen und unverfälschten Willen Christi beruft. Es gibt viele Themen, die die Kirche heute bewegen, zum Beispiel:
- Pflichtzölibat
- Homosexualität
- Ehescheidung
- Schwangerschaftsverhütung
- Schwangerschaftskonfliktberatung
- Befreiungstheologie
- Interkommunion
- Priesterweihe für Frauen
- die Rolle der Laien in der Kirche.
Zu allen diesen Themen gibt es eindeutige Lehraussagen. Sie haben aber nicht den Anspruch der Unfehlbarkeit, sondern können genauso revidiert werden wie andere Lehren (zum Beispiel zu Kreuzzügen, Inquisition, Ablasshandel, zum kopernikanischen Weltbild usw.).
Sinn dogmatischer Definitionen sei es, „in einer aktuell heftig umstrittenen Glaubensfrage eine verbindliche Entscheidung herbeizuführen“. [69] Es würde der Kirche und den Gläubigen sehr helfen, wenn die oben genannten Streitpunkte durch eine unfehlbare Aussage geklärt werden würden. Es stellt sich die Frage, ob die Päpste der von Gott geschenkten Vollmacht nicht trauen.
Aus technischen Gründen stimmen die folgenden Nummern der Fußnoten nicht mit den Fußnoten-Nummern im Text überein. (Das Programm beginnt die Zählung auf jeder Seite mit 1.) Die Verlinkung der Fußnoten funktioniert aber!
- Katholischer Erwachsenen-Katechismus, Deutsche Bischofskonferenz, 1985; Band 1, Seite 303↵
- Es müsste vielleicht noch geklärt werden, was der Katechismus an dieser Stelle mit der „Petrusfunktion“ meint.↵
- Jesus ist 4 v. Chr. geboren. Das in Mt 16,18 beschriebene Gespräch findet etwa 29 n. Chr. statt. Der Katechismus gibt den Tod des Petrus mit ca. 65 n. Chr. an. Also hatte Petrus noch etwa 36 Jahre vor sich.↵
- Wenn Jesus seine Kirche auf dem Felsen Petrus gebaut hat, handelt es sich um die (damalige) Gegenwart. Wenn Jesus mit dem Futur die Nachfolger im Petrusamt meinte, dann würde das bedeuten, dass die Kirche nicht auf Petrus, sondern erst auf seinen Nachfolgern erbaut wurde.↵
- Der Erste Clemensbrief ist ein Brief von Clemens von Rom an die Gemeinde von Korinth. Der Brief, der nicht Bestandteil des Neuen Testaments ist, wird immer wieder benutzt, um die Anwesenheit und den Tod des Petrus in Rom zu belegen.↵
- Prof. Dr. Otto Zwierlein: „Petrus in Rom – Die literarischen Zeugnisse“ (2009). In diesem Buch weist der Autor nach, dass es die Martyrien von Petrus und Paulus nicht gegeben hat. http://de.wikipedia.org/wiki/Otto_Zwierlein↵
- Quelle: siehe Fußnote 11.↵
- Professor Karl Heinz Ohlig schreibt in „Das Papstamt und seine Geschichte“ (2006): „Vieles spricht dafür, dass die Tradition, beide Apostel, die mittlerweile als die wichtigsten galten, für Rom zu beanspruchen, der Tendenz entsprungen ist, die Gemeinde der Reichshauptstadt mit den Anfängen des Christentums zu verbinden und ihr somit eine besondere christliche Legitimität zu verleihen. Ähnlich sind – typologisch – auch andere wichtige Städte verfahren, die sich mit der Behauptung apostolischer Gründung ein wenig Glanz und Autorität verschaffen wollten, bis hin zu Trier, dem ‚Rom des Nordens‘, das – als Nachzügler – die Gebeine des Apostels Matthias für sich beanspruchte.“ http://www.phil.uni-sb.de/projekte/imprimatur/2005/imp050705.html↵
- http://www.sankt-georgen.de/leseraum/schatz2‑1.html↵
- Was nicht heißen soll, dass sie dort nicht steht.↵
- Fast der ganze deutsch-österreichische Episkopat war gegen die Verabschiedung des Unfehlbarkeitsdogmas. http://de.wikipedia.org/wiki/Erstes_Vatikanisches_Konzil↵
- Neuner/Roos/Rahner/Weger: „Der Glaube der Kirche in den Urkunden der Lehrverkündigung“, 1971, Regensburg, 13. Auflage
„Der Glaube der Kirche“ ist eine Sammlung kirchlicher Lehraussagen. Dieses theologische Standardwerk ähnelt in Inhalt und Zweck dem „Enchiridion Symbolorum“ (siehe Fußnote 3), ist aber nicht chronologisch, sondern thematisch sortiert.↵ - Wenn das stimmt, bin ich verloren. Im Buch „Der Glaube der Kirche“ steht nämlich, die Kirche lehre mit dem Anspruch der Unfehlbarkeit: „Wer nicht die ganze kirchliche Überlieferung annimmt, die geschriebene wie die ungeschriebene, der sei ausgeschlossen.“ (Nr. 85) Der Bann trennt mich nicht nur von der Kirche, sondern auch von Gott, und führt zum Ausschluss vom Heil, denn „außer ihr [= außerhalb der Kirche] wird keiner gerettet.“ (Nr. 375) Immerhin befinde ich mich in guter Gesellschaft mit Dietrich Bonhoeffer (Lutheraner), Martin Luther King (Anglikaner), Frère Roger (Reformierter), Mahatma Gandhi (Hindu), Martin Buber (Jude) und dem Dalai Lama (Buddhist), die – nur weil sie nicht katholisch sind – ebenfalls nicht gerettet werden können, denn: „Dem römischen Papst sich zu unterwerfen, ist für alle Menschen unbedingt zum Heile notwendig“. (Nr. 430) Ich mache mir aber keine Sorgen, denn ich weiß (und hier wird mir auch Papst Benedikt uneingeschränkt zustimmen), dass Jesus ein größeres Herz hat als alle Päpste zusammen.↵
- Ich habe die fett gedruckten Ziffern nicht gezählt; das Buch hat über 600 Seiten.↵
- Neuner/Roos/Rahner/Weger: „Der Glaube der Kirche“, Seite 474↵
- http://de.wikipedia.org/wiki/Dogma↵
- Davon ist zum Beispiel die „Priesterbruderschaft St. Pius X.“ (FSSPX) überzeugt. http://de.wikipedia.org/wiki/Priesterbruderschaft_St._Pius_X.↵
- http://www.domus-ecclesiae.de/magisterium/quanta-cura.teutonice.html↵
- M.J. Scheeben, Handbuch der katholischen Dogmatik I, Freiburg i. Br. 1873 (Unveränderter Neudruck 1925), 224↵
- Wetzer und Welte’s Kirchenlexikon XI, veröffentlicht in 1886, Herder (Freiburg im Breisgau [etc.], St. Louis, Mo)↵
- Beide Zitate fand ich in der sehr lesenswerten Schrift „Dignitatis humanae und Quanta cura – Die Verurteilung der Religionsfreiheit vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil“ von Prof. Reinhold Sebott SJ; http://www.sankt-georgen.de/leseraum/sebott3.pdf↵
- Auch davon ist die „Priesterbruderschaft St. Pius X.“ überzeugt.↵
- http://www.vatican.va/archive/hist_councils/ii_vatican_council/documents/vat-ii_decl_19651207_dignitatis-humanae_ge.html↵
- „Rede Des Bischofs Stroßmayer Über Die Unfehlbarkeit des Papstes“, Köln 1872; http://anglicanhistory.org/oc/strossmayer_rede.pdf↵
- http://de.wikipedia.org/wiki/Unfehlbarkeit↵