Zölibat: Die 180°-Wende Papst Benedikts

Am 9. Febru­ar 1970 unter­zeich­ne­ten neun katho­li­sche Theo­lo­gen ein Memo­ran­dum zum Zölibat:

Die Unter­zeich­ne­ten, die durch das Ver­trau­en der deut­schen Bischö­fe als Theo­lo­gen in die Kom­mis­si­on für Fra­gen der Glau­bens- und Sit­ten­leh­re der Deut­schen Bischofs­kon­fe­renz beru­fen wor­den sind, füh­len sich gedrängt, den deut­schen Bischö­fen fol­gen­de Erwä­gun­gen zu unterbreiten.

Dar­in for­dern sie die Bischö­fe ein­dring­lich auf, die gül­ti­ge Zöli­bats­ge­setz­ge­bung zu über­den­ken. Zu den Unter­zeich­nern gehö­ren u.a.

  • Prof. Wal­ter Kas­par (spä­ter Kuri­en­kar­di­nal und Prä­si­dent des Päpst­li­chen Rates zur För­de­rung der Ein­heit der Christen),
  • Prof. Karl Leh­mann (spä­ter Kar­di­nal und Vor­sit­zen­der der Deut­schen Bischofskonferenz),
  • Prof. Karl Rah­ner (einer der bedeu­tends­ten Theo­lo­gen des 20. Jahrhunderts),
  • Prof. Joseph Ratz­in­ger, der spä­te­re Papst Bene­dikt XVI.

Das über­rascht, denn der Papst ist als unnach­gie­bi­ger Ver­tei­di­ger des Pflicht­zö­li­bats bekannt: Die Ehe­lo­sig­keit der Pries­ter sei ein Geschenk Got­tes, das nicht dem Zeit­geist geop­fert wer­den sol­le, ein zen­tra­ler Bestand­teil des Pries­ter­seins und ein Akt des Ver­trau­ens und der Treue zu Gott.

Das Memo­ran­dum ist nicht nur im Blick auf die Zöli­bats-Debat­te inter­es­sant. Es geht auch um die Unver­än­der­lich­keit der kirch­li­chen Leh­re und die Frei­heit, dar­über zu dis­ku­tie­ren. Hier eini­ge Aus­zü­ge aus dem Memorandum:

• Es ist theo­lo­gisch ein­fach nicht rich­tig, daß man in neu­en geschicht­li­chen und gesell­schaft­li­chen Situa­tio­nen etwas nicht über­prü­fen und in die­sem Sin­ne „dis­ku­tie­ren“ kön­ne […]. Das Gegen­teil zu behaup­ten, wird durch kein ernst­haf­tes theo­lo­gi­sches Argu­ment gestützt. 

• Es ist […] auch nicht wahr, daß jede Här­te in der Auf­recht­erhal­tung einer Posi­ti­on zum Sieg und jedes „Nach­ge­ben“ zum Unter­gang führt. 

• Wo es sich um eine Sache han­delt, die kein Dog­ma im stren­gen Sin­ne ist, hat auch ein kirch­li­cher Gesetz­ge­ber die Pflicht, die Aus­wir­kun­gen sei­ner Gesetz­ge­bung (ein­schließ­lich des Fest­hal­tens an einer sol­chen) gebüh­rend mitzuberücksichtigen. 

• In einem ande­ren Fal­le wür­de der Epi­sko­pat nur den Ein­druck erwe­cken, er glau­be gar nicht wirk­lich an die inne­re Kraft der evan­ge­li­schen Emp­feh­lung des ehe­lo­sen Lebens „um des Him­mel­rei­ches wil­len“, son­dern nur an die Macht einer for­ma­len Autorität. 

• Natür­lich ist der Pries­ter­man­gel nicht allein durch die Zöli­bats­ver­pflich­tung bedingt, son­dern hat auch vie­le ande­re und tie­fer lie­gen­de Grün­de. Es wäre aber den­noch falsch, dar­aus zu schlie­ßen, daß die bei­den Din­ge gar nichts mit­ein­an­der zu tun hät­ten. Wenn ohne Modi­fi­zie­rung der Zöli­bats­ge­setz­ge­bung ein genü­gend gro­ßer Pries­ter­nach­wuchs nicht zu gewin­nen ist – und die­se Fra­ge ist auch für unser Land immer noch bedroh­lich offen –, dann hat die Kir­che ein­fach die Pflicht, eine gewis­se Modi­fi­zie­rung vorzunehmen. 

• Die Über­zeu­gung, daß Gott auf jeden Fall genü­gend ehe­lo­se Pries­ter durch sei­ne Gna­de zu allen Zei­ten erwir­ken wer­de, ist eine gute und from­me Hoff­nung, theo­lo­gisch aber unbe­weis­bar und kann in die­sen Über­le­gun­gen nicht der ein­zi­ge, aus­schlag­ge­ben­de Gesichts­punkt bleiben. 

• Es ist auch drin­gend vor der Argu­men­ta­ti­on zu war­nen, die Zahl der wirk­li­chen Katho­li­ken wer­de in Zukunft sehr rasch so klein sein, daß auch ein zah­len­mä­ßig klei­ner ehe­lo­ser Kle­rus genü­gen werde. 

• [Die gel­ten­de Zöli­bats­ge­setz­ge­bung führt] nicht bloß zu einer Schrump­fung der Zahl der Pries­ter­amts­kan­di­da­ten, son­dern auch zu einer Sen­kung der Bega­bung, damit fak­tisch der Anfor­de­run­gen und auch der Ein­satz­fä­hig­keit der künf­tig noch zur Ver­fü­gung ste­hen­den Pries­ter führt […]. Die­je­ni­gen, die ihrem Bischof ver­si­chern, sie hät­ten hin­sicht­lich der Über­nah­me des Zöli­bats kei­ne Schwie­rig­kei­ten, haben dadurch noch längst nicht bewie­sen, daß sie für die Wei­he geeig­net sind. 

• Man muß ehr­lich zuge­ben, daß die Enzy­kli­ka „Sacer­do­ta­lis Coe­li­ba­tus[1] vom 24. Juni 1967 über vie­les nichts sagt, wor­über hät­te gespro­chen wer­den müs­sen, und daß sie in man­chem sogar hin­ter der Theo­lo­gie des Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zils zurück­bleibt (ganz abge­se­hen von der gewähl­ten Sprach­form, in der über die­sen Sach­ver­halt die Rede ist).

https://www.vkpf.de/zoelibat/geschichte/116-memorandum-zur-zoelibatsdiskussion-1970

„Wat kümmert mich ming Jeschwätz von jestern?“

Kon­rad Ade­nau­er, Bundeskanzler



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  1. „Sacer­do­ta­lis Cae­li­ba­tus“ ist der Titel der sechs­ten Enzy­kli­ka des Paps­tes Paul VI. vom 24. Juni 1967. Sie trägt den Unter­ti­tel „Über den Zöli­bat der Pries­ter“. Paul VI. hat­te die Zöli­bats­fra­ge, also die Ehe­lo­sig­keit der Pries­ter, der Erör­te­rung beim Zwei­te Vati­ka­ni­sche Kon­zil ent­zo­gen. Statt­des­sen ent­schied er, dass der Zöli­bat als kirch­li­che Vor­schrift erhal­ten blei­ben sol­le. (Wiki­pe­dia)

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