Was Jupiter erlaubt ist, ist dem Ochsen nicht erlaubt.
Dieser Satz von Terenz kam mir in den Sinn, als ich den vorigen Blog-Eintrag (Zölibat: Die 180°-Wende Papst Benedikts) schrieb. Dort geht es um das Memorandum, in dem neun katholische Theologen – unter ihnen Prof. Joseph Ratzinger, der heutige Papst Benedikt – die Kirche auffordern, die Zölibatsgesetzgebung zu überdenken.
Dass Ratzinger seine Einstellung zum Zölibat inzwischen um 180 Grad gewendet hat, nimmt ihm offensichtlich niemand übel. Jedenfalls niemand, der innerhalb der Kirche etwas zu sagen hat.
Was Joseph Ratzinger erlaubt ist, ist CDU-Politikern nicht erlaubt.
Als aber namhafte CDU-Politiker, u.a. Annette Schavan, Norbert Lammert, Bernhard Vogel und Erwin Teufel, die katholische Kirche aufforderten, auch bewährte verheiratete Männer, sogenannte „viri probati“, zu Priestern zu weihen, da witterte Kardinal Walter Brandmüller Ketzerei. In ungewöhnlich scharfer Form kritisierte er diesen Vorschlag in einem offenen Brief. Mit ihrer Petition hätten sie nicht nur alle Priester, sondern „auch Jesus Christus selbst beleidigt“. Und er fragte: „Was legitimiert Sie als Politiker, zu einem innerkirchlichen Thema Stellung zu beziehen, das Sie weder von Amts wegen noch persönlich betrifft?“
Herr Kardinal, die Frage nach der Legitimation ist leicht zu beantworten. In der Konzilsschrift „Lumen gentium“ steht unter Nr. 37, die Laien sollen …
„… ihre Bedürfnisse und Wünsche mit der Freiheit und dem Vertrauen, wie es den Kindern Gottes und den Brüdern in Christus ansteht, eröffnen. Entsprechend dem Wissen, der Zuständigkeit und hervorragenden Stellung, die sie einnehmen, haben sie die Möglichkeit, bisweilen auch die Pflicht, ihre Meinung in dem, was das Wohl der Kirche angeht, zu erklären.“
Auch den Paragraphen 1790 des Katholischen Katechismus scheint Kardinal Brandmüller nicht zu kennen:
„Dem sicheren Urteil seines Gewissens muß der Mensch stets Folge leisten. Würde er bewußt dagegen handeln, so verurteilte er sich selbst.“
War Joseph Ratzinger erlaubt ist, ist Georg Schwikart nicht erlaubt.
Ein anderes Beispiel für die selektive Wahrnehmung der katholischen Kirche:
Dr. Georg Schwikart ist Theologe, Religionswissenschaftler, Journalist und Autor – spezialisiert auf religiöse Bücher: „Das neue Minsitranten-ABC“, „Gebetbuch zur Taufe“, „Praxisbuch Trauerfeier“, „Was Christen glauben“, „Jugend und Gott“, „Segensgebete für Seelsorge und Gottesdienst“, „Gedanken zur Heiligen Messe“ usw.
Am 21. Novembert 2010 sollte er im Kölner Dom zum Diakon geweiht werden. Drei Wochen vor dem Termin (Einladungen zu diesem Ereignis waren bereits verschickt) entschied der Kölner Erzbischof, Joachim Kardinal Meisner, Schwikart sei unwürdig, die Diakonatsweihe zu empfangen. Der Grund: das Buch „Katholisch? Never! / Evangelisch? Never!“, das er gemeinsam mit dem evangelischen Autor Uwe Birnstein geschrieben hat, enthalte Stellen, die unvereinbar mit der katholischen Lehre seien. Gemeint sind damit zum Beispiel Fragen zur Frauenweihe, zur Ökumene oder zum gemeinsamen Abendmahl. Wer so glaube, könne nicht zum Diakon geweiht werden, entschied der Erzbischof.
Überraschend ist, dass das beanstandete Buch sogar von Radio Vatikan (Untertitel: „Die Stimme des Papstes und der Weltkirche“) in einer Buchbesprechung gelobt wurde („ein witziges aber dennoch theologisch korrektes Buch“). Ist niemandem aufgefallen, welch häretische Ansichten darin propagiert werden? Nein, offensichlich nicht. Aber schließlich fiel auch dem Erzbistum Köln während der mehrjährigen Diakonen-Ausbildung nichts Unkatholisches an der Gesinnung Schwikarts auf. Und auch mehrere persönliche Gespräche, die der Erzbischof in dieser Zeit mit ihm führte, sollen problemlos verlaufen sein. (Weitere Infos gibt es u.a. hier und hier.)
Fazit
Professor Dr. Joseph Ratzinger darf Dinge schreiben, die „Jesus Christus selbst beleidigen“ (Walter Brandmüller) – und kann später trotzdem noch unfehlbares Oberhaupt der Weltkirche werden.
Dr. Georg Schwikart braucht aber nur ein paar Fragen zu stellen – und verliert damit sogar das Recht, zum Diakon geweiht zu werden.
Die allein seligmachende katholische Kirche ist manchmal wirklich ein Mysterium.