Offener Brief an Prälat Heinrich Wachter, Regensburg •
Sehr geehrter Herr Prälat Wachter,
ich habe gerade das Interview gelesen, dass das Wochenblatt mit Ihnen geführt hat. Dazu habe ich einige Anmerkungen.
Wochenblatt: Herr Prälat, was ist für Sie der größte Unterschied zwischen Papst Benedikt und Papst Franziskus?
Heinrich Wachter: Da gibt es gewaltige Unterschiede. Man kann pauschal sagen: Franziskus macht alles anders. Das ist zwar sicher nicht seine Absicht, das muss man Franziskus nicht unterstellen, aber in vielem, wie er handelt, blamiert er seinen Vorgänger. Er stellt sich grundsätzlich anders ein zu bestimmten Verhaltensweisen wie unser Benedikt. Theologisch ist Franziskus im Vergleich zu ihm aber gar nicht auf dem Laufenden. Er redet unwahrscheinlich viel, aber er gibt kaum eine klare Stellungnahme ab. Selbst Kardinal Meisner sagte zu ihm, dass seine Aussagen immer sehr problematisch sind.
Es ist mir neu, dass ein Papst gehalten ist, so zu reden und zu handeln, dass sein Vorgänger im guten Licht darsteht. Oder dass er sogar dem Kurs seines Vorgängers folgen soll. Aber man lernt nie aus…
Dass Papst Franziskus theologisch nicht in der gleichen Liga wie Benedikt spielt, ist sicher richtig. Aber es war mir ebenfalls neu, dass ein Papst auf einem theologischen Lehrstuhl gesessen haben sollte, bevor er auf dem Petrusstuhl Platz nimmt. Hätte Jesus das gewollt, dann hätte er sicher nicht einen Fischer zum Vorbild aller Päpste gemacht, sondern einen Theologen bzw. Schriftgelehrten (z.B. den Apostel Bartholomäus).
Theologisch völlig ahnungslos kann Jorge Mario Bergoglio aber nicht sein, sonst wäre er sicher nicht Priester, Novizenmeister, Theologiedozent, Rektor der Theologischen Fakultät von San Miguel, Provinzial des Jesuitenordens, oder Erzbischof von Buenos Aires geworden.
Dass seine Aussagen „immer sehr problematisch“ sein, ist mir bisher zwar nicht aufgefallen, aber wenn das sogar Kardinal Meisner sagt, ja dann…!
Woher kommt das?
Franziskus trifft seine Entscheidungen aus dem Bauch heraus, die dann für die Menschen, die immer nach Veränderungen schreien in der Katholischen Kirche, zu ihren Gunsten interpretieren. Das hat sich sehr zugespitzt.
Was ist schlecht am Ruf nach Veränderungen in der katholischen Kirche? „Ecclesia semper reformanda est – die Kirche muss sich immer verändern“ ist ein Schlagwort des Zweiten Vatikanischen Konzils. Oder war das Konzil auch „aus dem Bauch heraus“?
Frag hundert Katholiken, was das Wichtigste ist in der Kirche.
Sie werden antworten: Die Messe.
Frag hundert Katholiken, was das Wichtigste ist in der Messe.
Sie werden antworten: Die Wandlung.
Sag hundert Katholiken, dass das Wichtigste in der Kirche die Wandlung ist.
Sie werden empört sein und sagen: Nein, alles soll bleiben wie es ist!
(Lothar Zenetti)
Was bewirkt das innerhalb der Kirche?
Kardinal Brandmüller hat seinem Kollegen, Kardinal Kasper, schon Häresie vorgeworfen. Das sagt doch schon alles.
Das sagt zwar noch nicht alles, aber immerhin eine ganze Menge.
Vor allem über Kardinal Brandmüller.
Viele Menschen in Deutschland haben aber das Gefühl: Endlich ändert sich was, beispielsweise bei geschiedenen Wiederverheirateten.
Ja, Gott sei Dank! Wie kann die Kirche auch ernsthaft glauben, Jesus, der nicht einmal den Verräter Judas ausschloss, wolle keine wiederverheirateten Geschiedenen am Abendmahl teilnehmen lassen?
Gibt es da jetzt aus Ihrer Sicht klare Linien?
Eben nicht! Es war doch schon fraglich, dass man eine Umfrage vor der Synode gemacht hat. Als hätte nicht die ganze Welt gewusst, wie die Einstellung der Leute zu diesen Themen ist. Da braucht es doch keine Umfrage! Die Bischöfe hatten doch auch vorher Kontakt zu den Menschen.
Sicher gab es immer schon Bischöfe, die Kontakt zu den Menschen hatten (und nicht nur zur ihren Mitarbeitern im Generalvikariat, in den Gremien, Pastoralräten, zum Kollegium der Bischofskonferenz usw.). Aber wie Sie selbst geschrieben haben: Es gibt solche und solche. (Zum Beispiel Kardinal Brandmüller und Kardinal Kasper.) Sicher glaubten beide zu wissen, wie die Einstellung der Leute zu diesen Themen ist. Schön, dass die Kirche jetzt auf fundierte Umfrageergebnisse zurückgreifen kann, statt auf subjektiv gefärbte Vermutungen angewiesen zu sein!
Ist das Populismus?
Ja, das sehe ich so. Das hat aber dazu geführt, dass Rom einen Dialog mit den Bischöfen führt. Aber der ist doch sang- und klanglos in die Binsen gegangen. Das ist völlig daneben gegangen, weil nicht das herausgekommen ist, was sich die Menschen, die Änderungen wollen, gewünscht haben. Das ging weiter mit der zweiten Synoden: Zweimal sind sie sich nicht einig geworden.
Nun sollte es zwar nicht das Ziel einer Umfrage sein, das herauszubekommen, was sich eine Interessensgruppe wünscht. Aber zumindest der Wunsch der „Änderungsbefürworter“ ist – anders als Sie es interpretieren – tatsächlich in Erfüllung gegangen: Das Ergebnis entsprach exakt ihrer Einschätzung: Die Lehre der katholischen Kirche ist meilenweit entfernt von der Lebenswirklichkeit der Katholiken. Die Auswertung hat die DBK am 3. Februar 2014 veröffentlicht. Dass Ihnen das Ergebnis nicht passt, kann ich mir wohl denken.
Und jetzt muss der Papst ein Fazit ziehen?
Ja, aber das zögert er hinaus! Das ist das Gefährliche bei ihm, dass er am Ende keine Entscheidung trifft. Es ist zwar sehr begrüßenswert, dass er alles anschneidet und über alles redet und dadurch sehr volkstümlich ist, aber er lässt zu viele Interpretationsmöglichkeiten offen.
Gerade das gefällt mir am Papst: dass er sich zu allen möglichen und „unmöglichen“ Themen äußert – und zwar auf erfreuliche Weise unkonventionell, den Menschen (und nicht dem Kanonischen Recht) zugewandt; dass er aber daraus keine Lehrsätze formuliert, die doch nur zur Verhärtung der Grenzen in der Kirche führen würden.
Aber wäre es Ihnen denn lieber, wenn er entscheidungsfreudiger wäre? Nö, sicher nicht! Recht wäre es Ihnen doch nur, wenn er Entscheidungen trifft, die auf Ihrer bzw. der Linie von Papst Benedikt liegen.
Bei Benedikt sagte man, er trat zurück, weil er an der Kurie scheiterte. Franziskus setzt hier zwei Pole: Einerseits den neuen Kardinalsrat, in dem auch Kardinal Marx aus München Mitglied ist, und andererseits Kardinal Müller, der zu seinem Gegenspieler wird. Eine Konkurrenz?
Die war schon immer da, schon als Müller Bischof in Regensburg war, war Marx sein Gegner. Man ist sich aber nicht sicher, auf welcher Seite der Papst nun wirklich steht. Es war doch sonderbar, dass Franziskus wieder Kardinal Kasper zum Gespräch eingeladen hat. Und Kardinal Marx in München ist angetan von der Dezentralisierung der Kirche, die von Franziskus ausgeht. Er ködert die Weltbischöfe mit mehr Selbstständigkeit und drückt sich auf diese Weise von seinen eigenen Entscheidungen.
Der Papst ködert die Weltbischöfe?! Er drückt sich vor seinen eigenen Entscheidungen?! Welch despektierliche Kritik am Papst! Zu Zeiten von Johannes Paul II. oder Benedikt XVI. hätten Sie wahrscheinlich jedem, der sich ähnlich über den Papst äußert, das Katholischsein abgesprochen oder ihn der Häresie verdächtigt. Dass Sie jetzt ganz locker den amtierenden Papst demontieren, zeigt doch ganz deutlich, dass es Ihnen gar nicht um die Autorität des Papstamtes geht, sondern um die Autorität desjenigen, den Sie als Papst gutheißen.
Welche wären das?
Er müsste sagen, wie er zu den geschiedenen Wiederverheirateten und zu den Homo-Ehen und diesen Problematiken wirklich steht. Das große Risiko bei ihm ist, dass ihn jeder für sich instrumentalisiert. Ein Beispiel war jetzt wieder die Ökumene. Da besucht er die evangelische Gemeinde in Rom und schenkt denen einen Kelch. Was soll das? Was sollen die mit dem Kelch anfangen? Natürlich hat die Frau Käßmann das so ausgelegt, dass er für die Interkommunion ist. Fahrlässig lässt er zu, dass sich etwa das Zentralkomitee der deutschen Katholiken solche Dinge dann zu eigen macht. Das ist doch auch bei uns die Krankheit.
Da besucht der Papst die evangelische Gemeinde in Rom und schenkt denen einen Kelch. Ja, was soll das?
Nun, ich dachte, dass jemand in seiner Stellung selbst entscheiden darf, wem er was schenkt – ohne das öffentlich begründen zu müssen. Aber muss er das überhaupt begründen? Können Sie sich nicht selbst denken, was er mit diesem Geschenk ausdrücken wollte? Nein, wirklich nicht? Und Sie wissen auch nicht, was eine evangelische Gemeinde mit einem Kelch anfangen kann? Traurig, traurig …
Sehen Sie das auch in den anderen Ländern?
Nein, das ZdK haben nur die Kommunisten ehemals und wir.
Oha. Den Zentralrat der Deutschen Katholiken (die von der Deutschen Bischofskonferenz unterstützte Laienvertretung der Katholiken) mit dem Zentralkomitee der KPdSU (dem politischen Gremium einer Diktatur) zu vergleichen, das schaffen sicher nicht viele…
Auffällig sind die Unterschiede zwischenden konservativen süddeutschen Bischöfen wie Voderholzer und Oster in Passau. Warum sind sie so anders als die Norddeutschen?
Die Zusammensetzung in der Diözese übt sicher einen Einfluss aus. Aber dass die deutschen Bischöfe gar nicht mehr zusammen halten, erklärt das nicht.
Sie haben recht: Die Bischöfe in Deutschland vertreten unterschiedliche Meinungen. Aber wäre es Ihnen denn wirklich lieber, wenn alle Bischöfe als treue Gefolgsleute des amtierenden Papstes einmütig der Linie Franziskus folgen würden?
Kürzlich hat Erzbischof Gänswein den zurückgetretenen Limburger Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst in Schutz genommen und den Rücktritt des Domkapitels gefordert. Wie sehen Sie das?
Ein Domkapitel kann einen Bischof völlig auflaufen lassen und isolieren. Gänswein hat ja die Limburger gefragt, ob sie überhaupt noch ein Teil der Weltkirche sein wollen (lacht).
Ach was! Sas Domkapitel war Schuld am Desaster in Limburg? Ich empfehle Ihnen zur Lektüre den „Abschlussbericht über die externe kirchliche Prüfung der Baumaßnahme auf dem Domberg in Limburg“, den die Prüfungskommission im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz vorgelegt hat. Wer nach der Lektüre noch in der Lage ist, Bischof Tebartz-van Elst in Schutz zu nehmen, hat m.E. einen an der Waffel (lacht überhaupt nicht).
Glauben Sie, dass das den Limburgern egal ist?
Das glaube ich nicht. Das wird sich mit der Neubesetzung in Limburg schon ändern. Zwar wird spekuliert, dass Georg Gänswein selbst hingeht, aber das glaube ich nicht.
Da nicht Kardinal Gänswein entscheidet, wer Teil der Weltkirche ist, dürfte das die Limburger recht wenig kümmern. Aber die Vorstellung, dass Gänswein bei der nächsten Papstwahl Stimmrecht hat, wird vielen Limburgern – und anderen Katholiken – schwer im Magen liegen.
Hat die Macht der Glaubenskongregation unter Gerhard Ludwig abgenommen?
Dadurch, dass Teile der Bischöfe glauben, dass Papst Franziskus nicht hinter ihm steht, ist eine gefährliche Situation entstanden. Der Papst hat alle Positionen auf fünf Jahre begrenzt und man muss befürchten, dass Müller nur noch drei Jahre im Amt ist. Dabei steht ja der Glaubenspräfekt in seinem Amt über dem Papst, weil ja er kontrolliert, ob der Papst überhaupt noch katholisch ist.
Dass der Glaubenspräfekt in seinem Amt über dem Papst steht, ist mir offen gestanden neu. Bisher lehrte die Kirche:
Der Papst ist “Stellvertreter Christi und Hirte der Gesamtkirche hier auf Erden, deshalb verfügt er kraft seines Amtes in der Kirche über höchste, volle, unmittelbare und universale ordentliche Gewalt, die er immer frei ausüben kann.” (CIC Nr. 331)
Wenn der Glaubenspräfekt kontrolliert, ob der Papst überhaupt noch katholisch ist, wer kontrolliert dann die Glaubenstreue des Glaubenspräfekten? Würden Sie das übernehmen?
Der Missbrauch um die Domspatzen wird nun aufgearbeitet. Wie finden Sie das?
Unnötig. Ich finde, das ist überflüssig. Dass ewig über das selbe geredet wird, da hätte man doch 1.000 andere Fälle wie in Sportvereinen, über die man auch reden müsste. Die Aufarbeitung ist doch längst hinter uns, das brauche ich nicht dauernd wiederholen.
Interview: Christian Eck
Klar. Völlig überflüssig.
Die ersten Missbrauchsfälle bei den Regensburger Domspatzen wurden im Jahr 2010 bekannt. Der von Ihnen so geschätzte Kardinal Gerhard Ludwig Müller – damals Oberhirte des Bistums Regensburg, heute oberster Glaubenshüter im Vatikan – sprach von Einzelfällen und sah die Kirche als Opfer einer Medienkampagne. Nun stellte der Rechtsanwalt Ulrich Weber nach nur acht Monaten in seinem Zwischenbericht fest, dass etwa jeder Dritte (!) der rund 2.100 Mitglieder des Knabenchors zwischen 1953 und 1992 Missbrauchserfahrungen machen musste.
Ja, es muss endlich Schluss sein mit der Aufarbeitung – bevor Ulrich Weber im Abschlussbericht noch viel Schlimmeres über die Heilige Mutter Kirche veröffentlicht! Suchen wir doch – frei nach Mt 7,3 – lieber den Splitter im Auge der Sportvereine, als den Balken im eigenen!
Ich frage mich wirklich: Was ist das für ein verbitterter, alter Mann, der so hoffnunglos in der Vergangenheit verstrickt ist? Wie kann jemand, der die meiste Zeit seines Lebens als Priester tätig war, so wenig von der befreienden Liebe Gottes verstanden haben? Und dann frage ich mich mit Schaudern, wieviele Schaden Sie in all den Jahren angerichtet haben: Wieviele Menschen haben Ihr Verständnis von Kirche und Christsein übernommen? Wievielen war Ihr Reden und Tun (und das Ihrer vielen „Brüder im Geiste“) Anlass, sich von der Kirche zu distanzieren?
Mit freundlichen Grüßen
Klaus Kegebein