Psychologische Studie widerlegt Gabriele Kuby. Oder doch nicht?
Die katholisch-fundamentalistische Publizistin Gabriele Kuby hat mehrere Bücher geschrieben über die Gefahren, die von Harry Potter ausgehen. In „10 Argumente gegen Harry Potter“ behauptet sie zum Beispiel:
Harry Potter ist ein globales Langzeitprojekt zur Veränderung der Kultur. Die Hemmschwelle gegenüber Magie wird in der jungen Generation zerstört. Damit dringen die Kräfte in die Gesellschaft ein, die das Christentum einst überwunden hat. Hogwarts, die Schule für Zauberei und Hexerei, ist eine geschlossene Welt der Gewalt und des Grauens, der Verfluchung und der Verhexung, der Rassenideologie und des Blutopfers, des Ekels und der Besessenheit. Es herrscht eine Atmosphäre ständiger Bedrohung, die sich auf den (jungen) Leser überträgt.
Überraschender Weise hat Joseph Ratzinger (bevor er zum Papst gewählt wurde) der Autorin für ihr Engagement gegen die Harry-Potter-Bücher in einem persönlichen Brief gedankt:
Es ist gut, dass Sie in Sachen Harry Potter aufklären, denn dies sind subtile Verführungen, die unmerklich und gerade dadurch tief wirken und das Christentum in der Seele zersetzen, ehe es überhaupt recht wachsen konnte.
Nun haben Psychologen der Universitäten in Modena, Greenwich, Padua und Verona eine Studie in der Fachzeitschrift „Journal of Applied Social Psychology“ veröffentlicht. Sie beschreibt den Abbau von Vorurteilen als “größte Zauberei Harry Potters”.
Die WELT schreibt in ihrer Online-Ausgabe:
Harry Potter kann auf einem Besen fliegen, den dunklen Lord Voldemort bekämpfen und sich gegen Dementoren zur Wehr setzen, die gute Erinnerungen aussaugen. Was die Fans des jugendlichen Zauberers begeistert, bleibt für sie gleichermaßen unerreichbar. Doch Harry Potter ergreift auch immer wieder Partei für die “Schlammblüter” – Hexen und Zauberer, die von “Muggeln”, also nicht magischen Menschen, abstammen. Und in diesem Punkt eifern seine Bewunderer Harry Potter durchaus nach: Kinder und Jugendliche, die sich mit der Figur identifizieren, sind toleranter gegenüber Migranten (…) Frühere Studien hatten gezeigt, dass Kinder sich an positiven moralischen Vorbildern in Erzählungen ein Beispiel nehmen und legen nahe, dass fiktive Literatur die Fähigkeit erhöht, sich in andere Menschen hineinzuversetzen.
Frau Kuby liegt also völlig falsch, wenn sie schreibt:
Die Unterscheidungsfähigkeit des Lesers zwischen Gut und Böse wird durch emotionale Manipulation und intellektuelle Verwirrung außer Kraft gesetzt.
Neu ist diese Erkenntnis übrigens nicht. Schon vor einem Jahr veröffentlichte der Politologe Anthony Gierzynski das Buch „Harry Potter and the Millannials“ über eine Studie, bei der mehr als tausend Studenten befragt wurden. diepresse.com schreibt dazu:
Harry-Potter-Fans sind demnach toleranter, mehr egalitär und weniger autoritär eingestellt, lehnen Gewalt und Folter stärker ab, sind eher skeptisch, zugleich weniger zynisch. Die Autoren betonen: Dieses Ergebnis kommt nicht zustande, wenn man einfach nur Viel- und Wenigleser vergleicht. Eine eindeutige Korrelation bestehe zwischen den politischen Ansichten der Studenten und den Harry-Potter-Romanen.
Das müsste Gabriele Kuby (und Papst Benedikt) doch überzeugen – oder?
Wahrscheinlich nicht. Erstens ist nach fundamentalistischem Verständnis Toleranz nur der Mangel an Überzeugung von der eigenen Sache. Und zweitens bescheinigt die italienische Studie den Kindern und Jugendlichen, die sich viel mit Harry Potter beschäftigen und sich mit ihm identifizieren, eine größere Toleranz für Schwule und Lesben (obwohl Homosexualität in den Büchern überhaupt nicht thematisiert wird).
Also doch! Gabriele Kuby und Kardinal Ratzinger wussten es ja schon von Anfang an: Die Harry-Potter-Bücher sind doch „ein globales Langzeitprojekt zur Veränderung der Kultur“, die „das Christentum in der Seele zersetzen, ehe es überhaupt recht wachsen konnte“!
Gabriele Kuby: Harry Potter – Der globale Schub in okkultes Heidentum
fe-medienverlag, Kißlegg 2002, ISBN 3–928929-43–7
Gabriele Kuby: Harry Potter – gut oder böse? Schwerpunkt: Band V
fe-medienverlag, Kißlegg 2003, ISBN 3–928929-54–2
Unsere persönlichen Erfahrungen mit den Harry Potter Büchern ist positiv, wenn man mit den Kindern darüber spricht. Keines unserer Kinder geht davon aus, dass es die magischen Kräfte gibt, die dort vorkommen. Vielmehr wird eindeutig erkannt, dass der Kern dieser Erzählungen im Kampf Gut gegen Böse liegt und wir uns selbst aktiv entscheiden müssen, auf welcher Seite wir stehen wollen, eingedenk dessen, dass das Böse auch in uns leider einen Rückhalt hat. Das ist christliche Lehre. Joanne K. Rowling hat selbst gesagt, dass sie von Tolkien und Lewis inspiriert war. Beides waren christliche Schriftsteller, die die Welt des Magischen als Transportmittel der christlichen Botschaft genutzt haben.
Gabriele Kuby kritisiert an den Harry-Potter-Büchern u.a. Okkultismus, Geisterglaube, das Fehlen (bzw. die Nichterwähnung) Gottes. Das gilt aber genauso für Die kleine Hexe von Otfried Preußler, Der kleine Hobbit von J.R.R. Tolkien oder Bibi Blocksberg von Elfie Donnelly – in denen es auch Magie gibt und in denen (meines Wissens) Gott nicht erwähnt wird.
Ich weiß nicht, wie es Tolkien mit der Religion hielt, aber die Narnia-Bücher von C. S. Lewis sind derart voll von christlicher Botschaft und Anspielungen auf die Bibel, dass es mir manchmal schon etwas zu viel wird – auch wenn Gott dort mit keinem Wort erwähnt wird.
Aber es kann doch nicht angehen, dass Kuby ein Buch (für Kinder und Jugendliche?) nur dann gutheißt, wenn darin für den christlichen (katholischen?) Gott geworben wird!
Was Frau Kuby macht oder nicht macht, ist deren Sache und ich muss es nicht bewerten. Man muss schon auf die gesamte Botschaft schauen. Bei “Die kleine Hexe” oder “Bibi Blocksberg” kann ich keinen wertvollen Content entdecken. Bei Tolkien schon. Tolkien war bekennender Katholik. Das sollte man aber schon wissen, finde ich. 🙂
Dann würde mich aber interessieren, was Ihrer Meinung nach „wertvollen Content“ bei Kinderbüchern ausmacht. Und ob es den Content verbessert, wenn der Autor katholisch ist.
Der wertvolle Content richtet sich nach den in den Büchern vermittelten Werten. Das ist ja schon sprachlich fast zwangsläufig. 🙂
Ach so, das hatte ich vergessen: Nein, auch Katholiken können Unsinn schreiben. Aber wenn ein Katholik wirklich aus dem Glauben an Christus schöpft, dann kann dabei durchaus was Sinnvolles herauskommen. Lewis und Tolkien waren übrigens befreundet. Sehr interessant finde ich eine Reihe eines evangelikalen Historikers, Ryan Reeves, auf Youtube über Tolkien, Lewis etc. Auf https://www.youtube.com/watch?v=JF3t3Xx4s5A&list=PLRgREWf4NFWYkdjziCtks-Gws5YIdN0Fi müssten Sie eine playlist seiner Beiträge dazu finden. Man sollte aber einigermaßen des Englischen mächtig sein, um ihm folgen zu können.
Sie schreiben: „Der wertvolle Content richtet sich nach den in den Büchern vermittelten Werten.“ Damit haben Sie aber meine Frage nicht beantwortet!
Sie sind der Meinung, dass in Preusslers Kinderbuch „Die kleine Hexe“ kein wertvoller Context zu finden ist. Wirklich nicht? Wikipedia schreibt in der Inhaltsbeschreibung u.a.: „Nun bemüht sich die kleine Hexe ein Jahr lang, ausreichend gute Taten zu vollbringen, hilft armen Menschen, bestraft Bösewichte, rettet Tiere und findet neue Freunde.“ Und sie bekämpft erfolgreich das Streben nach dem Bösen der großen Hexen. Sind das nicht genau die „Werte“, deren Fehlen Sie bemängeln?
Was hätte Preussler in seinem Buch noch schreiben müssen, damit Sie darin „wertvollen Content“ erkennen?